Identum Blog. Erster Eintrag:
Unser CD Helge Haberzettl erklärt, was Sie von diesem Blog erwarten dürfen. Und: Wie Inhalte im Netz durch pures Anbiedern an Charisma verlieren.
Jetzt sitze ich da, bin 25 Jahre in der Werbung und sie ist immer noch da: Die nackte Angst vor dem unbeschriebenen Blatt Papier. Der weiße Bildschirm starrt mir entgegen und ein provozierend langsam blinkender Cursor wartet auf Content, wie man heute sagt. Und das soll ich jetzt regelmäßig machen? Ernsthaft? Einmal pro Woche, habe ich vollmundig versprochen, schreibe ich ab jetzt und hier über Gott und die Kommunikationswelt. Ich Idiot.
Ich will ehrlich sein.
Womit wir schon beim ersten Versprechen wären, das ich hier geben kann: Ich spare nicht mit Selbstkritik. Und Ironie. Denn was auch immer passiert, vergessen Sie nicht: ich bin auch nur ein Texter, der vor einem Publikum steht und es bittet, ihn zu lieben.
Ich schreibe, was ich weiß, und das ist (siehe Punkt 1) beileibe nicht viel.
Zweites Versprechen: Ich stelle nicht den Anspruch, die alleingültige Wahrheit niederzuschreiben, auch wenn es sich manchmal so anhören mag. Sie werden hier meine persönliche Meinung erfahren, mit all ihren Eigenheiten. Damit Sie wissen, worauf Sie sich einlassen: Ich bin ein alter, weißer Mann, verheiratet, zwei Töchter, 7 und 10 Jahre alt. Ich sehe aus und benehme mich oft wie eine Mischung aus Elton John und Slavoj Žižek. Ich bin in dieser Branche als Texter sozialisiert worden, in großen und kleinen Agenturen in Österreich und Deutschland. Jetzt trage ich die kreative Verantwortung für Identum und gehe mit dieser – wie Sie gerade lesen können – sehr leichtfertig um.
Kann diese Zwischenüberschrift Ihr Aufmerksamkeitsdefizit heilen?
Drittes Versprechen: Dieser Blog ist nicht SEO-optimiert. Ich werde an dieser Stelle, in diesem Blog, nicht für eine Suchmaschine schreiben, sondern für Menschen. Und siehe da: Da haben wir schon ein tolles Thema für einen ersten Blogeintrag. Also los geht’s! Oder für Google, den neuen, unnachgiebigen Türsteher in unser digitales Leben: 01101100 01101111 01110011 00100000 01100111 01100101 01101000 01110100 01110011!!!
Genutzt wird nur, was auch gefunden wird.
Wir alle ahnen: Genutzt wird nur, was auch gefunden wird. Schon kleine Kinder begreifen das, zum Beispiel Zigarettenstummel am Kinderspielplatz. Und wir alten Texter haben begriffen, dass das auch für Content gilt.
Ab hier wird’s schräg. Denn damit dein Content gefunden wird, musst du ihn so schreiben, dass er zunächst dem Google Crawler gefällt, erst dann deiner Zielgruppe. Der Google-Crawler ist der Algorithmus, der Website für Website beschnuppert, und diese dann in supertoll oder uninteressant einteilt.
SEO-Fetischist*innen führen an dieser Stelle gern ins Treffen, dass der Algorithmus schon perfekt programmiert sei. Dass ihm ‚das gefällt, was der Zielgruppe gefällt‘. Infos sollten halt rein, Links, Aufzählungen sind gut, kurze Artikel, viele Zwischenüberschriften und generell gelte: Man kann ihn nicht mehr austricksen, den Google-Crawler.
Ja. Eh. Und so entstehen
- informative,
- übersichtliche,
- sachliche Texte, die
- ‚snackable‘ sind und
- keinerlei Charakter haben.
Wie finden wir das?
Ich habe in einem SEO-Workshop einmal eine schlechte Wintersportort-Startseite optimiert. ‚Infos in die Headline!!‘ trieb uns der Seminar-Aufseher an und ein paar Peitschenhiebe später betrachteten wir eine Homepage mit dem denkwürdigen Spruch „78,4 km Pistenzauber warten auf Sie!“.
Mhm. Aha. Nicht schlecht.
Sheldon Cooper würde buchen.
Ich würde lieber erfahren, wie der Skiort tickt. Eine Chance haben, seinen Charakter zu entdecken. Seine Eigenheiten. Sein Mojo. Klassische Soft Skills eben.
Und sehen Sie, da haben wir’s: Manches lässt sich immer noch nicht in Zahlen ausdrücken. Auch wenn viele Entscheider*innen es noch so gerne hätten. Und schließlich, davon bin ich überzeugt: Wer ständig nur das macht, was einer Mehrheit wahrscheinlich gefällt, ist Populist*in. Und nicht besonders charismatisch.
Das gilt für Menschen wie für Marken.
Wenn Sie jetzt mit mir schimpfen wollen, schreiben Sie gerne an blog@identum.at. Das nächste Mal schreibe ich entweder darüber, warum ich Emojis für das Ende der Menschheit verantwortlich mache oder über den Kampf der drei aktuellen Weltreligionen der Kommunikation. Oder gar nichts mehr, wenn es zu viel Schimpfe gibt.