Kleiner Ratgeber für die drei Weltreligionen der Kommunikation, 1. Auflage

Identum Blog. Zweiter Eintrag

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Es gibt verschiedene Glaubensbekenntnisse in der modernen Marktkommunikation. Und alle behaupten, nur ihre Ideen würden Ihnen in der Krise jetzt den Hintern retten – wie das bei Religionen eben so ist.

Doch welche ist denn jetzt die Richtige? Unser CD Helge Haberzettl hat die Wichtigsten für Sie zusammengetragen und verglichen. Wie immer, zu diesem Satz zwingt ihn unser Anwalt, mit einer großen Portion Augenzwinkern.

Wir haben Corona!
Gerade jetzt ist es wichtig, zu kommunizieren!!

Und zwar mit uns!!1elf!!

Ich schreibe heute mit angezogener Handbremse. Warum? Weil ich die Texte selber alle lese, die zurzeit von uns Agenturen verfasst werden. In Struktur und Aussage sind sie alle ähnlich bis ident: Wir haben Corona, gerade jetzt ist es wichtig, zu kommunizieren, und zwar – Überraschung! – mit uns. Weil wir haben die Wahrheit gepachtet, wir verkünden dir das Evangelium nach X, Y oder Z (hier wird ein Buzzword aus dem Ärmel geschüttelt).

Ich mag da nicht mittun. Nicht, weil ich mir keine Gedanken machen würde. Nicht, weil ich keine Überzeugungen hätte, für die ich einstehen würde. Und schon gar nicht, weil ich nicht der Meinung wäre, jetzt, in der Krise, müsse man manche Dinge in die Hand nehmen. Und die richtigen Dinge richtig tun. Sondern weil es mir zuwider ist, in diese offenbar exklusiv seligmachenden Heilsversprechen einzustimmen.

Also dachte ich mir: Bin einmal *ich* total Meta. Und sammle wie eine Suchmaschine bzw. ein Religionslehrer nach dem Test alle Glaubensbekenntnisse ein.

 

Nummer 1: Der alttestamentarische Werbeguru

Oberstes Gebot:
Du sollst nicht langweilen.

Heilige Schrift:
Alte, verstaubte, Schriften von David Ogilvy oder irgendeinem anderen, vor 60 Jahren berühmt gewordenen Werber.

Daran erkennen Sie ihn:
Er ist ein wenig schmaler geworden in letzter Zeit, aber wenn Sie ihn erzählen lassen, dann beginnen seine Augen zu leuchten und er schwärmt von der Zeit, als für Ildefonso noch Fernsehspots gemacht worden sind und als dieser eine Zigarettenspot aus Österreich in Cannes gewonnen hat.

Damit hat er recht:
Werbung kostet was. Gute Werbung erst recht. Gewisse Budget-Hürden würde er gerne übersprungen sehen. Nicht weil er einen neuen Sportwagen fahren will. Sondern weil er es schwer hat, aufzufallen oder Geschichten zu erzählen, wenn er gezwungen ist, Allerweltsbilder aus Bilddatenbanken zu verwenden. Genauso schwer ist es, mit der Kampagne österreichweit für Furore zu sorgen, wenn das gesamte Mediabudget einer einmalig geschalteten Viertelseite in der Kronenzeitung entspricht. Anspruch und Wirklichkeit kollidieren da oft. Ein wenig.

Damit hat er nicht recht:
Mit der irrigen Annahme, irgendjemand würde sich für seine Kunstwerke interessieren. Ich spreche von denen, die er in Kreativwettbewerben einreicht und die mit der Realität so viel zu tun haben wie ich mit dichtem Haupthaar. Im Gegenteil, die ganzen Doppelseiten für besonders scharfes Chili oder besonders leise Staubsauger haben dem Ansehen der gesamten Branche nachhaltig geschadet. Wo wir doch alle wissen, dass Staubsauger nicht per Doppelseite beworben werden, sondern per Druckkostenbeiträge für den Mediamarkt-Prospekt. Kein Wunder, dass immer noch alle glauben, ihn interessiere nur der neue Sportwagen, wo er sich doch nach wie vor wie kein anderer selbst inszeniert.

 

Nummer 2: Der Story-Teller

Oberstes Gebot:
Du sollst einen Purpose haben.

Heilige Schrift:
Jedes gute Buch hilft dem Story-Teller, seine Story zu tellen.

Daran erkennen Sie ihn:
An seinen Vorträgen. Die beginnt er mit einem packenden Beispiel. Und bei den Vorträgen bleibt es, denn die berühmten Beispiele, die er zeigt, haben in der Umsetzung Millionenbudgets verschlungen. Große Stories erzählt man nicht per Daumenkino. Und keiner wird ihm das in Österreich bezahlen, das weiß er.

Damit hat er recht:
Eigentlich mit allem. Wir leben nicht mehr in den Sechzigern des 20. Jahrhunderts, als noch Reklame gemacht wurde statt Werbung. Die Evolution hat zugeschlagen und dafür gesorgt, dass die Konsumenten von heute irrelevante Informationen ausblenden. Und zwar sofort. Weil wir sonst wahnsinnig werden würden. Aber Geschichten? Gute Geschichten? Die nehmen uns gefangen. Und wenn ich die Geschichte glauben kann und sie ein gutes Ende hat, dann bin ich ihm schon verfallen, dem Geschichtenerzähler.

Damit hat er nicht recht:
Dass ausnahmslos hinter allem ein Purpose sein muss, ein höherer Zweck. Etwas, was die Marke zu einem Vorreiter macht für eine gerechtere Gesellschaft oder Kämpfer gegen Ungerechtigkeiten. Das war die ersten paar Mal ganz lustig. Und – first come, first serve – hat allein dadurch auch seine Berechtigung gehabt. Wenn aber jetzt jeder Büroklammerhersteller der Welt selbige retten will, dann endet das da, wogegen der Purpose eigentlich schützen hätte sollen: In einem lausigen Who-Is-Who der heiteren Lippenbekenntnisse. In Sachen Umweltschutz hat diese Unart bereits einen Namen bekommen: Green Washing.

 

Nummer 3: Der Analytiker 

Oberstes Gebot:
Du sollst die Cookie-Richtlinien nur überfliegen und dann den fett unterlegten Button drücken und somit allem zustimmen.

Heilige Schrift:
Google Analytics

Daran erkennen Sie ihn:
Er trägt ein T-Shirt mit „Werbung ist tot“. Sie treffen ihn im Urlaub am ehesten in dem Ressort, das Ihnen beiden von TripAdvisor vorgeschlagen wurde. In dem Urlaubsland, das Ihnen beiden von TripAdvisor vorgeschlagen wurde.

Damit hat er recht:
Ältere Semester werden ihn noch kennen, den ersten Colour like no other-Spot für Fernseher von Sony. Allein die Poesie der Bilder hat damals alle verzaubert und die Musik zum Spot verhalf gleich mehreren Künstlern zum Durchbruch.

Damals waren Fernsehhersteller noch auf den „Relevant Set“ angewiesen, einen eher begrenzten Bereich im Kopf der Konsumenten, in dem sie alle für sie relevanten Marken abspeicherten.

Je nach Objekt der Begierde ist der Relevant Set unterschiedlich groß, vereinfacht gesagt aber beinhaltete er die Marken, denen wir vertrauten. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn wir Boomer anno dazumal einen Fernseher gekauft haben, marschierten wir zum Händler und wählten einen aus den uns vertrauten Herstellern aus, sagen wir mal einen von Sony, Grundig oder Samsung. Was, Panasonic war da nicht dabei? Pech gehabt.

Das ist heute anders: Wer heute einen Fernseher kauft, tippt einfach „Testsieger TV 102 cm 2020“ bei Google ein und fertig. Hier muss man ansetzen, meint der Analytiker. Und nur hier.

Damit hat er unrecht:
Meine Güte, Leute! Wir googeln vielleicht viel, aber doch nicht alles. Und nicht jeder Einkauf ist eine Investition, für die wir mehrere Wochen Recherche betreiben. Nicht umsonst sind unter den Beispielen, die der Analytiker gerne bringt, fast immer Autos dabei. Aber Milch? Googeln Sie „Testsieger Milch“, bevor Sie eine kaufen? Da ist sie, die Marke, und sie ist nach wie vor wichtig.

Und abgesehen davon: Wenn Ihnen drei Bewertungsplattformen ein Huchiangmitsungtao-TV-Gerät als Testsieger vorschlagen – kaufen Sie es dann auch wirklich? Mit anderen Worten: Gibt es ihn vielleicht noch immer, den „Relevant Set“? Nur, dass er jetzt halt „Nicht-ganz-so-relevant-aber-doch-irgendwie-schon-auch-relevant Set“ heißt?

Total uneigennütziges Fazit der Blog-Redaktion:


Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Genauer gesagt: in der Strozzigasse 32-34/6, 1080 Wien. Nur falls Sie Interesse haben an einer gesunden Mischung von Leuten, die bei alten Werbegurus gelernt haben, die davon überzeugt sind, dass man nur mit guten, halbwegs nett erzählten Geschichten weiter kommt und die wegen der SEO-Optimierung der Website nicht jemand anderen anrufen müssen, sondern so etwas immer schon selbst gemacht haben.

Anregungen, Wünsche und vor allem Beschwerden richten Sie bitte an blog@identum.at

15. Oct
Lesedauer 6 Min.